Palliative Care

Auch wenn der Weg aus der Tabuisierung eingeschlagen wurde: Sterben und Tod, auch das Eingeständnis eines nahenden Todes, sind immer noch schwierige gesellschaftliche Themen. Vielfältige Aktivitäten und langer Atem der im Hospiz- und Palliativbereich Tätigen haben Wirkung gezeigt: Politische, erkennbare und bedeutende Maßnahmen der letzten Jahre sind beispielsweise die Verabschiedung des Hospiz-und Palliativgesetzes (HPG), die Entwicklung der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland sowie die S3-Leitlinie Palliativmedizin.

Die Anerkennung des besonderen Versorgungsbedarfs der Menschen in der letzten Lebensphase und deren Bezugspersonen und damit der Stellenwert von Palliative Care wächst stetig. Die zunehmende Bedeutung der Palliativmedizin spiegelt sich nicht zuletzt in der Möglichkeit der gesonderten Finanzierung wieder. Nach wie vor ist aber auch festzustellen, dass noch eine mangelnde Anerkennung als eigenständige Disziplin besteht.

Doch bedarf es weiterer Entwicklungen mit dem Ziel der Integration des Todes in das Leben. Wesentlich dabei ist, die teilweise noch erheblichen Unterschiede von spezialisierter und allgemeiner Versorgung (Grundversorgung) zu minimieren und eine Finanzierung auch für die Ambulante Palliativversorgung (AAPV) sicherzustellen.

Wie gestalten sich die Situationen der Palliativ-Begleitung

Palliative Care beginnt dort, wo es keine Hoffnung mehr auf Heilung gibt und das Ziel der Symptomlinderung zum Erhalt von Lebensqualität in den Mittelpunkt rückt, gemäß der Devise von Cicely Saunders „…nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben“. Dementsprechend besteht der Bedarf,  Menschen in einer palliativen Situation sowohl in stationären Einrichtungen als auch ambulant zu begleiten und zu versorgen.

Zu unterscheiden ist die allgemeine palliative Begleitung in der Akutversorgung in Krankenhäusern auf normalen Stationen oder in Intensivabteilungen, in Pflegeheimen oder zu Hause, idealerweise unterstützt durch spezialisierte Dienste (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung -SAPV) sowie die spezialisierte Versorgung auf Palliativstationen, in Hospizen oder ambulanten Hospizdiensten.

Zahlen und Fakten

In Deutschland gibt es ca. 1 500 ambulante Hospizdienste mit mehr als 120 000 Ehrenamtlichen, ca. 250 stationäre Hospize mit durchschnittlich 10 Betten (Stand April 2020). Laut einer Erhebung vom Mai 2019 gibt es ca. 330 Palliativstationen, davon drei für Kinder und Jugendliche sowie ca. 301 SAPV-Teams davon 34 für Kinder und Jugendliche.
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Bedeutung und Rolle der Sozialen Arbeit

Mindestens 10 000 Sozialarbeiter*innen sind in ihrer Praxis mit Sterben, Tod und Trauer konfrontiert in der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung. Es ist davon auszugehen, dass der Anteil inzwischen gestiegen ist. Soziale Arbeit leistet auf der Grundlage ihres ganzheitlichen und systemischen Ansatzes und ihrer berufsethischen Grundhaltung einen wertwollen und wichtigen Beitrag zur Beratungs- und Versorgungsqualität. Sie verbindet medizinisch-pflegerische Fakten mit den Bedürfnissen der Schwerstkranken, ihrer Bezugspersonen und den realen Möglichkeiten. Ziel dabei ist die Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Würde schwerkranker Menschen und ihrer Angehörigen zu stärken.

Felder für Soziale Arbeit

Soziale Arbeit kann überall, wo Menschen in einer palliativen Situation versorgt werden, zur Verbesserung der Versorgungsqualität beitragen durch die Einbeziehung sozialer und psychosozialer Aspekte. Eine wesentliche Grundlage hierfür sind die besonderen Kommunikations- und Vernetzungskompetenzen der Profession.

Im Krankenhaus

  • auf der Palliativstation
  • im Palliativkonsildienst
  • in allen Bereichen des Krankenhauses

In Einrichtungen der stationären Versorgung/Pflege

  • im Hospiz
  • in Pflegeheimen

Im ambulant-häuslichen Bereich

  • in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV und SAPPV)
  • bei Ambulanten Hospizdiensten
  • in Beratungsstellen zB. beim Gesundheitsamt

Was kann Soziale Arbeit leisten

Auch das Wohlergehen in einer palliativen Phase beinhaltet alle Dimensionen menschlichen Lebens: physisch, sozial, psychisch, spirituell, die sich oft überschneiden und in Wechselwirkung stehen. Jede*r definiert das eigene Wohlergehen selbst. Der Mensch ist ein soziales Wesen, braucht Menschen um sich, die sich kümmern und begleiten. Eine schwere Erkrankung destabilisiert den Menschen, wobei die Themenbereiche und deren Ausprägungen individuell stark ausgeprägt sind. Krankheit betrifft den Menschen und das Zugehörigkeitssystem einzeln aber auch als Teil des Beziehungsgeflechts. Deshalb sind Bezugspersonen grundsätzlich mit betroffen und müssen mit in die Behandlung, Betreuung und Beratung einbezogen werden.

Nichts ist regelhaft, alles ist individuell. Sowohl die innere als auch die äußere konkrete Lebenswelt sind im Blickfeld. Fragen und Themen bringen die Schwerkranken und Bezugspersonen ein. Dies setzt voraus: Zuwendung, Empathie sowie Einbeziehung des Umfelds, der Lebensgeschichte und der Wertvorstellungen. Ziel ist es, den Menschen in der letzten Lebensphase zu befähigen, Handlungsoptionen zu erkennen, das Leben soweit wie möglich (wieder) in die Hand zu nehmen, selbst zu gestalten/zu bestimmen, Pläne zu schmieden, Sinnhaftigkeit des Lebens zu spüren und zu aktivieren, den Zugang zur eigenen spirituellen Welt (wieder) zu öffnen. Dies gilt auch für die Klärung, wo und wie die verbleibende Lebenszeit verbracht werden möchte.

Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe der Fachkraft der Sozialen Arbeit die Betroffenen sowie die Bezugspersonen Möglichkeiten aufzuzeigen, bei der Entscheidungsfindung zu begleiten und bei der Umsetzung zu unterstützen. Die Fachkraft der Sozialen Arbeit erkennt, ob weitere Professionen mit ihren Angeboten hilfreich sein können, um die Lebensqualität zu verbessern und bezieht diese in Abstimmung mit den Betroffenen ein. Neben der psychosozialen und sozialrechtlichen Beratung ist die Rolle als Koordinator*in innerhalb es Palliativ Netzwerkes wesentlich für die notwendige ganzheitliche Palliativversorgung.

Wie wird Soziale Arbeit eingebunden

Es gibt sowohl im Krankenhausbereich als auch in Hospizen oder SAPV-Teams keine Verpflichtung eine Fachkraft der Sozialen Arbeit ins Team aufzunehmen. Bei den Anforderungen an die Abrechenbarkeit der palliativmedizinischen Komplexbehandlung wird neben Medizin und Pflege eine dritte Berufsgruppe genannt, diese kann Soziale Arbeit oder auch Psychologie, Musik- oder Kunsttherapie sein. In SAPV-Teams gibt es nur vereinzelt Sozialarbeiter*innen. Anders ist es in zertifizierten Zentren, wo eine Fachkraft für Soziale Arbeit verpflichtend vorgesehen ist (Deutsche Krebsgesellschaft).

Die speziellen Herausforderungen für Soziale Arbeit

Soziale Arbeit im Krankenhausbereich hat den primären Auftrag die Entlassung vorzubereiten. Dies gilt auch für Menschen in einer Palliativsituation. Der zu leistende Spagat ist, die Bedürfnisse der schwerkranken Menschen und deren Zugehörige aufzunehmen und die Anforderungen der Institution nach einer Entlassung unmittelbar nach Ende der Behandlungsbedürftigkeit zu befrieden. Dies gilt insbesondere für Bereiche außerhalb der Palliativstation.

Soziale Arbeit hat den Auftrag zu vermitteln, Kommunikation zu fördern. Dies kann sich auf die Kommunikation zwischen schwerkranken Menschen und Bezugspersonen beziehen oder zwischen Schwerkranken bzw. Bezugspersonen und Mitgliedern des Stationsteams. Die  Soziale Arbeit versteht sich als eine der Berufsgruppen, bei denen psychosoziales Krisen-Management zu den Kernkompetenzen gehört und Konzepte, Methoden und Erfahrungswissen für schwierige Situationen zum Repertoire zählen.

Die Bedeutung der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland

Die Charta  hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen ins Blickfeld zu nehmen, die sich mit der Endlichkeit des Lebens befassen müssen. Menschen die in dieser herausfordernden Situation von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, weil das Thema Tod und Sterben ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist. Folglich herrscht große Unsicherheit im Umgang mit dem Thema und damit auch mit den Betroffenen. Der berufsethische Ansatz Sozialer Arbeit beinhaltet, sich für Menschen einzusetzen, die Benachteiligung erleiden oder denen Ausgrenzung droht. Soziale Arbeit will dem entgegenwirken, Menschen stärken und Teilhabe ermöglichen.

Interventionen Sozialer Arbeit haben zum Ziel den Menschen in der letzten Lebensphase die Würde und Selbstbestimmung zu erhalten. Soziale Arbeit ist eng mit einem systemischen Ansatz verknüpft, denn Sterben und Tod betreffen neben den erkrankten Menschen immer auch die nächsten Zugehörigen der Schwerkranken. Ihre Bedürfnisse sind ebenso zu berücksichtigen. Mit der Charta  werden die Ziele der Sozialen Arbeit und der systemische Ansatz stark unterstützt.

Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland

Ethische Aspekte

Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.2.2020 entschieden, dass das vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (assistierter Suizid) der Rechtsordnung widerspricht. Das Urteil bedeutet eine Stärkung der Autonomie der Schwerstkranken. Aus Sicht der Sozialen Arbeit muss gewährleistet sein, dass Symptome bestmöglich gelindert werden, ein hohes Maß an Lebensqualität besteht und der Lebenswille gestärkt wird. Die Entscheidung über eine Selbsttötung ist ein Prozess, dem ein Dialog mit Zugehörigen und professionell Begleitenden vorrangehen sollte. Die Menschen und deren Zugehörige müssen zu allen Aspekten ihrer Erkrankung, deren Verlauf sowie zu den Versorgungs- und Unterstützungsmöglichkeiten durch ein multiprofessionell aufgestelltes Team beraten, informiert und begleitet werden. Die Umsetzung des assistierten Suizids zu unterstützen ist eine, wenn auch die letzte Option, die der berufsethischen Haltung Sozialer Arbeit entspricht. Von zentraler Bedeutung ist die im Urteil ausdrücklich genannte Pflicht des Staates, das Leben zu schützen. Menschen am Lebensende sind in einer tiefen emotionalen Krise. Das Urteil darf nicht dazu führen, die Angebote für Sterbende zu reduzieren. Die Verweigerung von Behandlung, Begleitung, Dasein und Versorgung könnte dazu führen, dass sich Menschen in der letzten Lebensphase schneller für die Selbsttötung entscheiden, da sie keinen anderen Ausweg sehen. Hier muss Soziale Arbeit ansetzen. Sie darf niemals zulassen, dass bei einer solchen Entscheidung ökonomische Interessen einfließen.
DVSG-Stellungnahme (März 2020)

Ethikkomitee

Ethikkomitees sind inzwischen in Kliniken etabliert und werden auch häufig in stationären Pflegeeinrichtungen eingerichtet. Es gibt keine Festlegung, welche Berufsgruppen in diesen Ethikkomitees vertreten sein sollen. Unumstritten ist, dass es ein multiprofessionell zusammengesetztes Team sein soll. Wesentlich für die Qualität der Ergebnisse ist es, Fragestellung aus unterschiedlichen mehrdimensionalen Blickwinkeln zu betrachten, beispielsweise auch die Perspektive der Zugehörigen zu achten z. B. bei der Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen auf der Grundlage von Willenserklärungen in der Patientenverfügung. Soziale Arbeit hat aufgrund ihres systemischen Blicks, des ganzheitlichen Ansatzes das Potenzial die unterschiedlichen Sichtweisen zu erkennen und einzubringen. Die Integration von Sozialer Arbeit ist deshalb neben anderen psychosozialen und therapeutischen Berufsgruppen unverzichtbar für ein klinisches Ethikkomitee.

Ausblick

Zukünftige Themenschwerpunkte sind:

  • Feste Verankerung von Sozialer Arbeit als weitere Profession in allen Bereichen der spezialisierten Versorgung
  • Entwicklung eines Berufsbildes für Soziale Arbeit im Hospiz- und Palliativbereich
  • Allgemeine und Spezialisierte Soziale Arbeit
    • Anforderungen an die zertifizierte Aus- und Weiterbildung, Strukturelle Voraussetzungen
  • Personalrichtwerte für die Soziale Arbeit in Konsildiensten und in der SAPV
  • Finanzierung der Sozialen Arbeit
  • Studien zur Verankerung und zur Wirksamkeit Sozialer Arbeit in der Hospiz- und Palliativversorgung

Palliative Care bei der DVSG

Für den Bereich Soziale Arbeit in der Hospiz- und Palliativversorgung besteht eine DVSG-Arbeitsgruppe.

Ansprechpersonen sind:

Cindy Stoklossa

Hans Nau